Financial balance? “Eigentlich sind wir nicht dafür gemacht”

Warum tun wir uns so schwer mit wirtschaftlichen Zusammenhängen? Carmela Aprea, Professorin für Wirtschaftspädagogik, über Fehler in der ökonomischen Bildung und die Frage, ob mehr Finanzwissen letztlich zu mehr Wohlstand führt.

von Frank Muck

Prof. Carmela ApreaProf. Carmela Aprea, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik and Direktorin des Mannheim Institute for Financial Education (MIFE), Universität Mannheim. – © Stefan Leifken


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Wir leben in einer durch und durch ökonomisierten Welt. Trotzdem verstehen wir insgesamt wenig über wirtschaftliche Zusammenhänge, oder?

Carmela Aprea: Für die erwachsene Bevölkerung haben wir mehr Erkenntnisse in der Finanzbildung, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mehr in der ökonomischen Bildung. Auf dieser Basis können wir tatsächlich sagen, dass ökonomische Bildung eher nicht so ausgeprägt ist. Das Liegt auch daran, dass die Prozesse, um die es in der Ökonomie geht, selten sichtbar sind. Man kann sie nicht anfassen. Wir wissen auch, dass Dinge wie zum Beispiel “zur Arbeit gehen” o “etwas verkaufen” schon bei den Kindern in der Grundschule repräsentiert sind, während abstrakte Dinge wie das Geldsystem, das Rentensystem, oder der Hochfrequenzhandel nicht der unmittelbaren Erfahrung zugänglich sind. Die Ökonomie als Wissenschaft beinhaltet sehr viele Modelle, ist sehr stark symbolisch repräsentiert, und das ist nichts, was unmittelbar nachvollziehbar ist.

Is weiß man denn da aus der Lernforschung?

Eigentlich sind wir nicht dafür gemacht. Je mehr wir quasi von einer Mikroebene des Machens auf eine Makroebene der Interaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten gehen, desto schwieriger wird es, diese aggregierten Prozesse zu verstehen. Unser Gehirn hat sich in der Menschheitsgeschichte sehr wenig verändert, aber unsere Welt ist immer komplexer geworden. Nicht dass man es nicht lernen könnte, aber unsere Grundausstattung macht uns das nicht leicht. Weil wir gewissermaßen unser Setup nicht verändern, wird die Lernlücke immer größer. Wir bräuchten eine sinnvolle Lernumgebung, diese Dinge erfahrbar macht.

“Dinge, die für sie nicht unmittelbar greifbar sind, werden durch, in dem Fall falsche, Alltagskonzepte erklärt.”

Wo genauliegen denn überhaupt die Defizite? Is genau verstehen wir nicht?

Meistens werden Zusammenhänge nicht verstanden, wie zum Beispiel eine Inflation entsteht oder was die Geldpolitik macht, um die Inflation zu bekämpfen? Wie funktioniert die gesetzliche Rentenversicherung? Die Leute wissen, dass es ein Generationenvertrag ist, weil das halt in den Medien so transportiert wird, aber wenn man näher nachfragt, dann denken viele, dass das Geld doch irgendwie angelegt wird. Sie entwickeln Vorstellungen, die aus dem Alltag kommen. Wir haben in der Finanzkrise 2008/2009 Leute gefragt, wie sie sich vorstellen, dass die Finanzkrise von den USA nach Deutschland gekommen ist – ein überaus komplexer Vorgang. Die Leute haben sich das aber mit Alltagswissen erklärt. Die amerikanischen Banken seien irgendwie in Schwierigkeiten gekommen. Und die deutschen Banken wolten denen helfen. Dinge, die für sie nicht unmittelbar greifbar sind, werden eben durch solche, in dem Fall falschen, Alltagskonzepte erklärt.

Diese Vorgänge sind natürlich auch so komplex, dass selbst Fachleute sie nur schwer erklären können.

Bei vielen Dingen sind selbst Ökonomen überfordert. Ich glaube, auch die Bankvorstände haben nicht unbedingt immer verstanden, was ihre Investmentbanker treiben. Leider sehen die Leute deswegen nicht, wie finanzielle oder ökonomische Entscheidungen nicht nur sie selber, sondern auch unser ganzes Gemeinwesen beeinflussen.

Würden sie dafür plädieren, dass ökonomische Bildung ausgeweitet wird?

Also grundsätzlich halte ich das natürlich für sehr sinnvoll, wenn sie gut gemacht ist. Sie hören an diesem Punkt vielleicht schon Kritik heraus. Lehrpläne, Schulbücher oder Unterrichtsmaterialien sind sehr selten wirklich an den Lernenden und ihren Entwicklungsprozessen orientiert. Sie setzen selten an deren Lebenswelt an und gehen von dort auf die Makroebene. Oft ist der Stoff eher sowas wie eine Betriebswirtschafts- oder eine Volkswirtschaftslehre im Kleinen. Das Curriculum der BWL und VWL wird einfach nur ausgedünnt Aber es geht ja eigentlich nicht darum, kleine BWL- oder VWL-Experten auszubilden. Die Schule hat einen allgemeinbildenden Auftrag. Es geht um Weltverstehen.

“Verteilungskämpfe, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten haben immer auch ein ökonomisches Korrelat.”

Wie äußert sich das?

Ich habe eine Zeit lang nach meiner Promotion für das Wirtschaftsabitur in Baden-Württemberg Nachhilfekurse geleitet. Die armen Abiturienten mussten dann plötzlich den Mengentender der Bundesbank erklären. Im Bundesbank-Bericht ist das aber lediglich eine Fußnote. Ein befreundeter Volkswirt, der Geldpolitik als Spezialgebiet hat und mittlerweile Professor ist, konnte mir dessen Funktion nicht aus dem Stegreif erklären. Man fragt sich, warum so ein armer Abiturient das wissen muss. Ein weiteres Problem ist die Lehrerbildung. Häufig sollen fachfremde Lehrkräfte, die selber nicht ausreichend Ökonomiekenntnisse haben und zu wenig selbst verstehen, den Stoff vermitteln.

Schule ist schon jetzt mit vielen Anforderungen überfrachtet. Hinzu kommt Lehrermangel. Wie wollen Sie das noch unterbringen?

Hier merkt man schnell, worunter das System insgesamt leidet. Einerseits sollen die Jugendlichen immer mehr wissen, lernen andererseits aber immer weniger zu denken. Das sehen wir manchmal schon an Studierenden. Trotz Gymnasium und Abitur sind manche nicht in der Lage, eigenständig Problemstellungen zu bearbeiten oder sie sich selber anzueignen. Man müsste auch in anderen Fächern Schnittpunkte zur Ökonomie finden. Finanzfragen sind zum Beispiel in der Mathematik umsetzbar. Politik und Gesellschaftskunde ist ohne Ökonomie nicht verstehbar, weil viele Ungleichheitsfragen unsere Demokratie berühren. Verteilungskämpfe, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten haben immer auch ein ökonomisches Korrelat. Es gibt eben eine ökonomische Grundlage, die dafür wichtig ist und das kann man eigentlich anders nicht verstehen. Nehmen Sie den Klimawandel. Die Co2-Bepreisung: Wenn ich keine Ahnung von der Funktionsweise von Märkten habe, verstehe ich natürlich nicht, was man da tut und kann nicht beurteilen, ob ich das gut finden soll oder nicht.

Wie könnte man das verbessern?

Es wäre sehr wichtig, Verknüpfungen herzustellen. Das Problem ist: Wenn Sie das nicht einem Fach zuordnen, dann kriegen Sie das nicht in die Lehrerbildung und Dann haben wir wieder das Problem mit dem System Schule. Die Fächerstruktur müsste grundsätzlich überdacht werden. Der Klimawandel ist ein sehr gutes Beispiel, weil es stark die Naturwissenschaften berührt, aber eben auch eine ökonomische und eine gesellschaftliche Dimension hat. Wer ist davon betroffen, wer ist benachteiligt? Da kommt man eben sehr schnell auch an die Grenzen derclassischen Fächeraufteilung. Das ist eine langfristige Aufgabe der Bildungspolitik. Kurzfristig braucht es gute Materialien plus entsprechender Lehreraus- und -fortbildung.

“Es wäre wichtig, zu verstehen, wie Unternehmen in einem gesamtökonomischen Kontext agieren.”

Es gibt vielfach auch Material von Gesellschaften außerhalb der Schule, etwa Kreditinstitute oder Versicherungen. Ist das qualitativ hochwertig oder dient das primär der Kundenbindung?

Wir haben für die finanzielle Bildung eine Analyze gemacht mit Finanzbildungsanbietern verschiedenster Couleur und verschiedensten organisatorischen Hintergründen. Es gibt sehr gute Sachen, aber es gibt eben sehr viel Schatten entweder mit inhaltlichen Fehlern, großen didaktischen Mängeln oder ideologisch sehr starker Einfärbung, woman zum Teil nicht weiß, wer dahinterstekt und die Absichten sind? Die Finanzbildung ist nochmal speziell, weil einfach sehr viele Akteure aus dem Finanzbildungsbereich ihre Materialien oder Angebote unterbringen wollen. Es gibt aber auch ganz tolle Materialien, woman den Eindruck hat, dass es wirklich um Corporate Social Responsibility geht und nicht primär um Verkaufsinteressen.

Do you know es bei Erwachsenen aus, vor allem bei Selbstständigen, denen ja auch manchmal mangelndes Wissen unterstellt wird?

Zu Selbstständigen direkt gibt es keine belastbaren Daten. Aber wir haben Untersuchungen mit Auszubildenden aus verschiedenen Berufen. Leider muss man sagen, dass unabhängig von ökonomischer Vorbildung, zum Beispiel aus kaufmännischen Berufen, einige Auszubildende auch Lücken haben. Sie verstehen im günstigsten Fall ihren Fachinhalt, aber sie können diesen manchmal nicht auf ihre eigene Situation übertragen. Hinzu kommt, dass man auch in den kaufmännischen Berufen nach den Lehrplanreformen die volkswirtschaftlichen Inhalte eher ausgedünnt hat. Dennoch wäre es wichtig, zu verstehen, wie Unternehmen in einem gesamtökonomischen Kontext agieren. Der Transfer gestaltet sich aber oft für alle schwierig, egal ob es um einen handwerklichen, einen Gesundheitsberuf oder einen kaufmännischen Beruf geht.

“Die berechtigte Hoffnung ist, dass wir durch finanzielle und ökonomische Bildung bessere Entscheidungen treffen.”

Was wäre denn, wenn wir mehr wüssten. Wären wir dann alle reicher?

Das ist der Traum der Pädagogen und Politiker. Aber ich bin da ein bisschen skeptisch, weil gerade Vermögen selten etwas ist, was man sich erarbeitet. Wenn wir uns angucken, wo Vermögen herkommt, dann ist es sehr häufig vererbt. Aber dennoch: Die berechtigte Hoffnung ist, dass wir durch finanzielle und ökonomische Bildung bessere Entscheidungen treffen und Dadurch eventuell mehr verdienen oder besser mit unseren verfügbaren Einkommen haushalten, auch das ist schon mal etwas. Auch die Vorsorge könnte besser werden, weil wir nicht mehr in bestimmte Fallen tappen. Wir würden keine überteuerten Produkte kaufen und einfach wissen, dass der Bankberater nicht unbedingt mein Freund und Helfer ist, sondern dass er eigene Interessen verfolgt, was ja in der Marktwirtschaft nichts Kriminelles ist.

Und gesamtgesellschaftlich?

Es ist wichtig, dass bestimmte Prozesse einfach besser verstanden werden. Etwa wie ein Staatshaushalt aufgeteilt ist oder was mit den Steuern geschieht und die sozialen Sicherungssysteme funktionieren, auch im Hinblick auf das Wahlurteil. Alle sollten informierte Entscheidungen treffen können.

Ist der Unterricht in den Schulen darauf ausgerichtet?

Wir haben 16 Bundesländer mit den wildesten Mischungen an Schulformen. In den beruflichen Gymnasien, zumindest also in Baden-Württemberg, gibt es zum Teil ein Fach, das heißt “Privates Vermögensmanagement” sowie das Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung an allgemeinbildenden Gymnasien, aber es gibt Bundesländer, die entsprechende Curric ula nicht haben. Ich glaube, die Schule sollte das Grundlagenwissen für eine entsprechende Lebensführung vermitteln – ohne Extreme finanzielle Sorgen. Ob man am Ende in ETF Investment oder sich eine Eigentumswohnung kauft, ist immer abhängig von der jeweiligen persönlichen Situation. Es nützt nichts, 16-Jährigen etwas über Bausparverträge zu erzählen. Im Übrigen, denke ich, ist es auch Aufgabe der Eltern, das zu vermitteln.

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